Versicherungsmathematische Funktion (VmF)

Versicherungsmathematische Funktion (VmF)

Rundschreiben 2/2017 (VA) – Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen – MaGo

9.3 Versicherungsmathematische Funktion

9.3.1 Allgemeine Anforderungen an die versicherungsmathematische Funktion

97 Die Unternehmen müssen eine VmF als Schlüsselfunktion einrichten. Neben der VmF ist nach dem VAG in der Lebensversicherung, der substitutiven Krankenversicherung, der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr sowie für Haftpflicht- und Unfallrenten weiterhin der Verantwortliche Aktuar vorgesehen (siehe dazu unter 9.3.7).

9.3.2 Aufgaben der versicherungsmathematischen Funktion

98 Der Aufgabenkatalog der VmF wird in § 31 Abs. 1 VAG in Verbindung mit Artikel 272 DVO definiert. Zu berücksichtigen sind, soweit für das Unternehmen einschlägig, auch die Übergangsregeln in § 351 und § 352 VAG.

99 Es ist in der Regel möglich, der VmF auch Aufgaben zuzuweisen, die über den vorgegebenen Aufgabenkatalog hinausgehen, wenn Interessenkonflikte analysiert und angemessene Maßnahmen zum Umgang mit ihnen ergriffen werden.

9.3.3 Koordinierung der Berechnung versicherungstechnischer Rückstellungen

100 Die Entscheidung, wer die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen im Sinne der §§ 75 ff. VAG durchführt, bleibt dem Unternehmen überlassen.

101 Die Entscheidung, wer die Validierung im Sinne von Artikel 264 DVO durchführt, bleibt ebenfalls dem Unternehmen überlassen. Die Aufgaben der VmF im Sinne von § 31 Abs. 1 VAG in Verbindung mit Artikel 272 DVO bleiben hiervon unberührt.

102 Die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen und die Validierung im Sinne von Artikel 264 DVO werden in der Weise angemessen getrennt, dass Interessenkonflikte vermieden und insbesondere die Unabhängigkeit der Validierung nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Im Einklang mit dem Proportionalitätsprinzip kann diese Anforderung für Unternehmen mit schwächer ausgeprägtem Risikoprofil bereits erfüllt sein, wenn die Validierung und die Berechnung prozessual getrennt werden. Es kann im Sinne des Proportionalitätsprinzips aber auch eine personelle Trennung von Validierung und Berechnung geboten sein.

103 Gegenstand der Validierung im Sinne von Artikel 264 DVO sind die verwendeten Berechnungsmethoden, die getroffenen Annahmen und die verwendeten Daten sowie die vollständige Erfassung der zu bewertenden Verpflichtungen. Der Einfluss von Änderungen bei Methoden, Annahmen und Datengrundlagen von einem Berechnungsstichtag zum nächsten ist zu ermitteln.

104 Die VmF gewährleistet im Rahmen ihrer Zuständigkeit, dass eine angemessene Validierung gemäß Artikel 264 DVO durchgeführt wird. In diesem Kontext erfüllt die VmF die nachfolgend genannten Aufgaben.

105 Die VmF beurteilt, ob die Zusammenhänge zwischen der Methodenwahl, den Annahmen sowie der Datenqualität und -verfügbarkeit beachtet werden. Dabei werden die Quelle und der Verwendungszweck der Daten berücksichtigt.

106 Bei der Prüfung, welche Validierungsverfahren sich am besten eignen, berücksichtigt die VmF die Charakteristika der versicherungstechnischen Verbindlichkeiten.

107 Die VmF prüft regelmäßig die Validierungsverfahren und gewährleistet, dass diese gegebenenfalls verfeinert werden. Zu diesem Zweck bezieht sie die gewonnenen Erfahrungswerte aus vorangegangenen Validierungen sowie gegebenenfalls veränderte Marktbedingungen ein.

108 Die VmF gewährleistet, dass bei der Validierung sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte berücksichtigt werden.

9.3.4 Aufgaben in Bezug auf die künftige Überschussbeteiligung

109 Die VmF gewährleistet, dass die künftige Überschussbeteiligung angemessen in den versicherungstechnischen Rückstellungen nach Solvabilität II berücksichtigt wird. Die VmF hat in den entsprechenden Sparten den Verantwortlichen Aktuar zu konsultieren, ob die hierzu notwendigen künftigen Managementregeln realistisch modelliert sind. Eine zusätzliche Validierung durch den Verantwortlichen Aktuar ist in diesem Zusammenhang nicht notwendig.

110 Bei der Stellungnahme der auf Gruppenebene eingerichteten VmF zur künftigen Überschussbeteiligung sind die nationalen gesetzlichen Vorgaben zu beachten. Dazu hat sie die lokalen VmF und, wo vorgesehen, den Verantwortlichen Aktuar oder entsprechende Personen einzubeziehen.

9.3.5 Beurteilung der Datenqualität

111 Die in den folgenden Randnummern gemachten Ausführungen beziehen sich auf die bei der Bewertung versicherungstechnischer Rückstellungen verwendeten Daten.

112 Für die Beurteilung der Datenqualität bezieht die VmF die Ergebnisse solcher Analysen ein, die im Rahmen externer oder interner Überprüfungen der Datenqualität vorgenommen wurden.

113 Für die Beurteilung der Vollständigkeit der Daten prüft die VmF, ob die Anzahl der Betrachtungen und die Detailtiefe der verfügbaren Daten für die Anwendung der verwendeten Berechnungsmethode und die Segmentierung der Versicherungsverpflichtungen ausreicht.

114 Die VmF ermittelt wesentliche Unzulänglichkeiten der Daten sowie deren Ursachen. Hierzu prüft sie auch interne Prozesse und konsultiert bei Bedarf zuständige Mitarbeiter. Sie schlägt der Geschäftsleitung Lösungen zur Behebung der Unzulänglichkeiten vor.

115 Die VmF dokumentiert die wesentlichen Unzulänglichkeiten und deren Ursachen. Zudem erläutert sie mögliche wesentliche Auswirkungen dieser Unzulänglichkeiten auf die Berechnung.

116 Die VmF formuliert gegebenenfalls Empfehlungen zur Verbesserung von internen Verfahren im Zuge des Datenmanagements, um zu gewährleisten, dass das Unternehmen in der Lage ist, die entsprechenden Anforderungen von Solvabiliät II zu erfüllen.

117 Sie prüft, in welchen Fällen zusätzlich externe Daten bzw. Marktdaten benötigt werden. Des Weiteren beurteilt sie die Qualität dieser Daten.

118 Die VmF beurteilt, ob die Zuverlässigkeit der Schätzungen durch eine Anpassung der verfügbaren Daten verbessert werden kann.

9.3.6 Stellungnahme zur Zeichnungspolitik und Rückversicherung

119 Die VmF unterstützt die Geschäftsleitung, indem sie die Wechselwirkungen zwischen der Zeichnungs- und Annahmepolitik, der Preiskalkulation, der Rückversicherungspolitik und den versicherungstechnischen Rückstellungen analysiert. Sie hat die Vereinbarkeit der Zeichnungs- und Rückversicherungspolitik mit dem Risikoprofil des Unternehmens zu beurteilen.

120 Die hierfür notwendige Analyse der Zeichnungs- und Annahmepolitik und Preiskalkulation findet in der Regel nicht auf der Ebene einzelner Produkte statt, sondern auf einem angemessenen Abstraktionsniveau.

121 Die hierfür notwendige Analyse der Rückversicherungspolitik schließt die Wirksamkeit der Rückversicherungsvereinbarungen unter Stressbedingungen ein.

122 Die Analysen erfolgen regelmäßig auch quantitativ.

9.3.7 Verhältnis zwischen der für die versicherungsmathematische Funktion verantwortlichen Person und dem Verantwortlichen Aktuar

123 Der Verantwortliche Aktuar nimmt eine Schutzfunktion für die Kunden wahr. Er achtet auf Gleichbehandlung und die sachgerechte Verwendung von Überschüssen. Der Verantwortliche Aktuar überprüft außerdem, ob die dauernde Erfüllbarkeit der sich aus den Versicherungsverträgen ergebenden Verpflichtungen jederzeit gewährleistet ist. Wenn der Verantwortliche Aktuar gleichzeitig die verantwortliche Person für die VmF ist, prüfen die Unternehmen, ob diese Kombination zu Interessenkonflikten führen kann.

124 Die Aufgaben des Verantwortlichen Aktuars, im Hinblick auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften für handelsrechtliche Rückstellungen und die angemessene Prämienkalkulation, beeinträchtigen die Rolle der VmF in der Regel nicht so stark, dass eine organisatorische Trennung aufgrund dessen erforderlich erscheint.

125 Bei Lebensversicherungsverträgen mit Anspruch auf Überschussbeteiligung sind Interessenkonflikte zwischen Verantwortlichem Aktuar und VmF möglich. Die Überschussanteilsätze werden zwar von der Geschäftsleitung festgelegt, diese kann den Vorschlag des Verantwortlichen Aktuars nach § 141 VAG (Abs. 5 Nr. 4 und Abs. 6 Nr. 2 und 3) aber nicht ohne weiteres unberücksichtigt lassen. Eine aus Sicht des Verantwortlichen Aktuars angemessene Überschussbeteiligung kann aus Sicht der VmF zu hohe Risiken bergen, eine aus Sicht der VmF für das Risikoprofil des Unternehmens adäquate Überschussbeteiligung kann aus Sicht des Verantwortlichen Aktuars für die Kunden unangemessen sein. Sind im Einzelfall Interessenkonflikte möglich, kann die für die VmF verantwortliche Person nur dann zugleich Verantwortlicher Aktuar sein, wenn das Unternehmen durch geeignete und wirksame Maßnahmen gewährleistet, dass die betreffende Person jede der beiden Aufgaben vollständig und unabhängig ausübt.

126 Für die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr gelten die Ausführungen zur Lebensversicherung unter Rn. 125 entsprechend. Das Ausmaß der erforderlichen Maßnahmen hängt aber vom Anteil dieser Verträge am gesamten Geschäftsumfang und den damit einhergehenden Risiken ab.

127 Falls in der substitutiven Krankenversicherung im Einzelfall Interessenkonflikte möglich sind, wenn die für die VmF verantwortliche Person zugleich Verantwortlicher Aktuar ist, kann die Mitwirkung des unabhängigen Treuhänders in Bezug auf die diesem gesetzlich zugewiesenen Aufgaben in der Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung im Regelfall als hinreichende flankierende Maßnahme betrachtet werden, soweit der VmF keine Aufgaben zugewiesen sind, die über den vorgegebenen Aufgabenkatalog hinausgehen. Sind der VmF weitere Aufgaben zugewiesen, gelten die in Rn. 125 letzter Satz und Rn. 102 genannten Grundsätze.

128 Ist der Verantwortliche Aktuar ausschließlich für die Bildung von Deckungs-rückstellungen für Schaden-/Unfall-Renten zuständig, liegt in der Regel kein Interessenkonflikt vor, wenn die für die VmF verantwortliche Person zugleich Verantwortlicher Aktuar ist.

9.3.8 Informationspflichten der versicherungsmathematischen Funktion

129 Nach Artikel 272 Abs. 8 DVO legt die VmF der Geschäftsleitung mindestens einmal jährlich einen schriftlichen Bericht vor, der alle erzielten Ergebnisse enthält (VmF-Bericht). Zur Ad-hoc-Berichtspflicht der VmF gemäß Artikel 268 Abs. 3 DVO siehe unter 9.1.2.

130 Der VmF-Bericht benennt klar und deutlich etwaige Mängel und Empfehlungen zur Behebung solcher Mängel. Er enthält auch Angaben zu Veränderungen mindestens in den zugrundeliegenden Annahmen und verwendeten Methoden. Allein der Hinweis, dass sich die Situation gegenüber dem Vorjahr nicht geändert hat, ist nicht ausreichend.

131 Der VmF-Bericht kann nicht durch einzelne Teilberichte ersetzt werden. Er muss aus sich heraus für die Geschäftsleitung verständlich sein.

132 Es steht der VmF frei, zusätzlich zum VmF-Bericht über einzelne Themen gesondert zu berichten. Wesentliche Aspekte aus solchen Berichten sind in den folgenden VmF-Bericht aufzunehmen.

133 Es wird vom Verantwortlichen Aktuar und von der VmF jeweils ein eigener Bericht angefertigt, sofern ein Bericht vorgesehen ist. Dies gilt auch, wenn der Verantwortliche Aktuar gleichzeitig verantwortliche Person für die VmF ist. Sofern es Überschneidungen gibt, etwa in Bezug auf eine Analyse der Datenqualität, kann der VmF-Bericht auch Erkenntnisse aus dem Bericht des Verantwortlichen Aktuars aufgreifen. Die VmF stellt dabei sicher, dass diese Erkenntnisse auf die Solvabilität-II-Perspektive übertragbar sind.